„On the Job“ – Heinz Horrmann im Interview

Deutschlands Top-Kritiker über die Personallage im Gastgewerbe

Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten in der Gastronomie und noch einmal 500.000 in der Hotellerie. Sie erwirtschaften jährlich rund 100 Milliarden Euro Umsatz. Diese Werte (Quelle: Bundesamt für Statistik) markieren einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Doch die Gastronomie- und Hotellerie-Jobs sind hart, die Fluktuation mancherorts hoch. Über die Personalsituation im „Gast- und Beherbergungsgewerbe“, wie es so schön im Amtsdeutsch heißt, sprachen wir mit Heinz Horrmann, einem der international renommiertesten Kritiker, vor allem aber intimsten Kenner der Szene, Autor zahlreicher Bestseller – und dem einzigen Journalisten, der für seine Verdienste um diesen Wirtschaftsbereich das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten hat.

 

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Heinz Horrmann – Deutschlands Hotel-Experte Nr. 1


Herr Horrmann, muss man ein besonderer Typ Mensch sein, um in der „Gastro- bzw. Hotelszene“ zu arbeiten? Was macht den optimalen Angestellten in Kneipe, Restaurant, Bar oder Hotel aus?

Heinz Horrmann: Entscheidend ist die innere Bereitschaft, in diesem Beruf aufzugehen, die Leidenschaft, Kunst zu zelebrieren – nicht unterwürfig, weil man „nur“ ein Angestellter ist, sondern auf Augenhöhe mit allen anderen Beteiligten, auch mit dem Gast. Das gilt natürlich in erster Linie für Restaurants beziehungsweise Etablissements der gehobenen Kategorie. Aber auch in der Kneipe an der Ecke muss schon etwas davon zu spüren sein.

Warum ist trotz der hohen Anforderungen an Flexibilität und Bereitschaft zur Mehrarbeit – und das oft zu „unchristlichen“ Zeiten – die Entlohnung nicht immer optimal, um es diplomatisch auszudrücken?

Darüber rege ich mich seit Urzeiten ebenfalls auf. Dass ein Kellner mit 1100 oder 1200 Euro netto nach Hause geht, ist einfach indiskutabel, und er muss auf gutes Trinkgeld hoffen, wenn er einigermaßen leben will. Das ist übrigens international im Bereich der ‚Hospitality‘ auch so, es wird überall so mies bezahlt; es ist halt gewachsen, und wir werden es so schnell nicht ändern können. Leider.

Gibt es eigentlich – vom Hotelfachpersonal einmal abgesehen – einen anerkannten Ausbildungsweg für den Bereich Service?

Ja, natürlich, die Kellner-Lehre. Sie dauert drei Jahre und ist eine super Basis für den Beruf. Dass sie sich lohnt, sieht man am Lebenslauf von Horst Schulze: Er hat als einfacher Hotelangestellter in Bad Neuenahr angefangen und hat dann im Laufe seiner Karriere eine ganz neue Philosophie entwickelt: die des Ritz Carlton. Später ist er auf die weltbeste Ausbildungsstätte gegangen, die Cornell University in Ithaca im US-Staat New York. Als Gründer und Chef (bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 2000) der Ritz Carlton Hotels hat er einige der besten Hotels der Welt betrieben und wurde noch in diesem Jahr (2015) zum „Welt-Hotelier“ gewählt.

 

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Vielerorts ist das Hotel- und Gaststättengewerbe ein Saisongeschäft. Muss man als Gast deshalb mit teilweise offensichtlich ungelernten, oft auch phlegmatischen Servicekräften leben?

Natürlich nicht. Auch wer in der Hochsaison in einem beliebten Restaurant oder Café Gast ist, hat auf prompte und freundliche Bedienung Anspruch.

Wie können die Arbeitgeber solchen Problemen begegnen?

Selbstverständlich können Gastronomie-Arbeitgeber, die in touristischen Hochburgen ihr Geschäft betreiben, nicht das ganze Jahr eine umfangreiche Truppe von geschultem Personal vorhalten, dann wären sie rasch pleite. Aber sie können die Aushilfskräfte, die sich als besonders gut erwiesen haben, zum Wiederkommen bewegen. Dann haben sie auch temporär eine prima Mannschaft.

Doch es gibt natürlich auch eine grundsätzliche Alternative, zumindest für die Hotelbranche: Wenn es irgend geht, sollten sie ein Angebot für die normalerweise schwache Zeit erarbeiten, im Bereich Wellness oder Fitness beispielsweise. Dann haben sie das ganze Jahr über zu tun, verdienen mehr und können sich entsprechendes Ganzjahrespersonal leisten.

Was sagt Ihre Erfahrung: Ist Deutschland die berühmt-berüchtigte Service-Wüste, wie gern behauptet wird, gerade im internationalen Vergleich?

Das war einmal so, und optimal ist die Situation noch immer nicht. Aber wie in so vielen Dingen unterliegt auch der Service gewissen Wellenbewegungen: Mal ist er top, mal flop. Wer in dieser Zeit wissen will, wie man Service wirklich schreibt, sollte nach Asien gehen. Darin ist man dort einfach unangefochten Spitze. Glücklicherweise schwappt diese Entwicklung inzwischen schon wieder zurück nach Europa. Die Schweiz würde ich da nennen, aber auch in den anderen europäischen Ländern wird der Begriff wieder großgeschrieben. Als echte Servicewüste würde ich derzeit die USA bezeichnen, das zeigen meine internationale Erfahrungen, und ich kann durch meine zahlreichen Reisen wirklich gut vergleichen.

Sie sind gern gesehener Gast – und Juror – in TV-Kochshows, zum Beispiel bei „Grill den Henssler“. Dadurch werden immer mehr Köche zu echten Stars, und das nicht nur für intime Kenner der Haute Cuisine. Hilft das der Branche, ihr nicht immer perfektes Image aufzupolieren?

Zunächst habe ich festgestellt, dass solche Sendungen das allgemeine Interesse an gutem Essen – was also nicht nur den Magen füllt, sondern auch Genuss ist – und seiner Zubereitung weckt. Weniger positiv finde ich die Selbstdarstellung von so genannten Spitzenköchen, die gar nicht kochen können. In einer dieser Shows habe ich mal Bratkartoffeln kredenzt bekommen, die schwammen förmlich im Fett; da hat meine Großmutter schon besser gekocht. Dafür haben einige dieser Köche vielleicht eher Entertainer-Qualitäten. Na gut, dann ist das eben Unterhaltung. Allerdings gibt es auch eine Reihe positiver Beispiele: Steffen Henssler beispielsweise ist für mich einer von Deutschlands besten Fisch-Köchen. Und diese Leute können den TV-Zuschauern schon wertvolle Tipps geben und die Lust am Kochen vermitteln.

 

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Kulinarische Innovationen kennen wir inzwischen auch in Deutschland. Testen Sie – für sich persönlich – auch solche Newcomer bzw. neue Gastronomie- und Food-Trends oder sind Sie eher Traditionalist?

Die Küche heute befindet sich doch in ständigem Wechsel, besser gesagt: in steter Entwicklung. Was hatten wir nicht alles? Die Küche wie aus dem Chemiebaukasten zum Beispiel: Da hat man auf ein Gummibärchen gebissen und dachte plötzlich, man habe einen Hering gegessen. Nein, das ist nicht meine Welt.

Ich nehme mir gern Auguste Escoffier als Beispiel: Dieser französische Meisterkoch (1846 – 1935) hat Spezialitäten aus aller Herren Länder verarbeitet und maßgeblich zum guten Ruf der französischen Haute Cuisine beigetragen. Mit seinem Buch „Guide Culinaire“ erlangte er zu Recht Weltruhm. Mit anderen Worten: Ich bin ein Fan der großen klassischen Küche. Aber wenn ich etwas Neues bekomme, bewerte ich es immer absolut neutral, das kann ich jedem Gourmet versprechen.

 

 

Hatten Sie jemals Lust, die Seiten zu wechseln – vom Tisch in die Küche oder hinter den Tresen?

Ach, wissen Sie: Ich hatte das große Glück, mit einigen der absoluten Spitzenköche gemeinsam am Herd stehen zu dürfen; Dieter Müller gehört dazu, Paul Bocuse und Haeberlin. Das waren wirklich große Momente in meinem Leben, ich habe die Passion und die Leidenschaft dieser Menschen gespürt – und viel von ihnen gelernt. Ich habe sogar den General-Manager-Lehrgang im Ritz Carlton absolviert, aus Neugier und beruflichem Interesse. Aber wirklich vorgehabt, die Seiten zu wechseln, habe ich nie.

Wie und wo würden Sie als ‚Maître d’hôtel‘ oder Restaurantleiter Ihr Personal für Küche und Service rekrutieren?

In den Hotelfachschulen. Ganz klar. Da bekommt man die beste Basis. Mein Sohn hat beispielsweise zuerst den Küchenmeister gemacht und dann die Hotelfachschule absolviert. Das hat ihm persönlich gut getan und ihm zahlreiche berufliche Chancen eröffnet. Aber auch neue Lösungen für den Personalmarkt wie ihre Job-Community shjft können Top-Ergebnisse bringen. Heute geht doch fast alles über Internet und Apps. Man muss die jungen Talente eben da entdecken, wo sie aktiv sind.

…und was raten Sie  jungen Menschen, die in die Gastronomie und/oder Hotellerie gehen wollen?

Jeder, der ins Gastgewerbe möchte, sollte sich selbst sorgfältig prüfen. Die Jobs sind sehr zeitintensiv, anstrengend, teilweise familienfeindlich – wenn der/die Partner/in nicht selbst in der Branche arbeitet. Und sie sind (noch) oft miserabel bezahlt. Man sollte also auf jeden Fall die notwendige Portion Leidenschaft mitbringen, der Beruf muss die Berufung sein, sonst funktioniert das nicht.

Wenn Sie mich in Ihr derzeit favorisiertes Restaurant führen würden, wo fände ich mich wieder?

Im „le petit Felix“. Das Clubrestaurant hinter dem Adlon in Berlin ist absolute Weltklasse!

Weitere Infos:

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